Datenanalysten sehen Anomalien im deutschen Online-Glücksspiel

Aktuelle Analysen eines renommierten Datenunternehmens lassen aufhorchen: Offenbar spielen deutlich weniger Deutsche online, als im europäischen Vergleich eigentlich zu erwarten wäre. Ein Ausreißer? Oder steckt mehr dahinter?
Marktanalysen sind im Glücksspiel – wie in jeder anderen Branche – wichtig, um Kundenverhalten zu erfassen, Möglichkeiten auszuschöpfen und letztlich Investitionen gezielt zu steuern. Zudem besteht – gerade in diesem sensiblen Sektor – eine erhöhte Relevanz für die Beobachtung regulatorischer Einflüsse und die frühzeitige Erkennung problematischer Entwicklungen. In letzterem Zusammenhang scheint sich nun eine seit Langem geäußerte Befürchtung in Deutschland durch konkrete Zahlen zu bestätigen.
Dass immer mehr Spieler in Deutschland auf nicht lizenzierte Anbieter ausweichen, überrascht viele Experten kaum. Die Begründung: Das legale Angebot sei schlicht zu unattraktiv. Prominent geäußert wurde diese Ansicht zuletzt von Georg Stecker, dem Vorstandssprecher der Deutschen Automatenwirtschaft. Er sagte nach der Veröffentlichung der polizeilichen Statistik:
„Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Wenn es kein ausreichendes und zeitgemäßes, legales Angebot gibt, weichen die Menschen in den illegalen Markt aus. Die Politik darf diese Realität nicht ignorieren (…)“.
Auch der Rückgang der Steuereinnahmen aus Online-Slots um satte 38 Prozent wird von Kritikern in diese Richtung gedeutet. In einer Zeit, in der digitales Glücksspiel weltweit wächst, erscheint es kaum plausibel, dass die Deutschen plötzlich das Interesse verlieren. Viel wahrscheinlicher, so die Quintessenz: Spieler weichen auf ausländische Seiten aus – mit attraktiveren Games, besseren Auszahlungsquoten und weniger Einschränkungen. Die Kritik an einem folgereichen „Stillstand“ auf dem deutschen Glücksspielmarkt wird immer lauter.
Neues Öl im Feuer dieser scheinbar unendlichen Debatte sind nun aktuelle Zahlen von H2 Gambling Capital. Das nach eigenen Angaben weltweit führende Unternehmen in Sachen Glücksspielstatistiken hat errechnet, dass der deutsche Online-Markt sage und schreibe 76 Prozent unter den Erwartungen liegt! Kann das wirklich ein Ausreißer sein? Oder handelt es sich nun schließlich doch um ein eindeutiges Indiz, dass der Schwarzmarkt längst die Oberhand gewonnen hat?
Deutschland soll im Online-Glücksspiel 76 Prozent hinter vergleichbaren Märkten liegen und die geringste Kanalisierungsrate haben
H2 hat den deutschen Glücksspielmarkt mit anderen europäischen Ländern verglichen und dabei ein fast schon paradoxes Bild gezeichnet. Während die Bundesrepublik beim Gambling vor Ort – also in Spielhallen und Wettlokalen – durchaus mithalten kann, bricht sie im digitalen Bereich regelrecht ein. Laut den Analysten liegt der durchschnittliche Bruttoertrag aus dem terrestrischen Spiel in Deutschland bei 93 Euro pro Kopf – ein Wert, der nahezu identisch ist mit den Niederlanden (95 Euro) oder anderen vergleichbaren Märkten.
- Daraus ließe sich eigentlich ableiten, dass auch das Interesse am Online-Glücksspiel ähnlich stark ausgeprägt sein müsste. Doch genau hier beginnt die Anomalie: Deutsche Spieler geben online deutlich weniger aus – genauer gesagt nur 23 Euro pro Kopf für legale Angebote wie Sportwetten und virtuelle Automatenspiele. Zum Vergleich: In den Niederlanden liegt dieser Wert ebenfalls bei 95 Euro. Laut H2 rangiert Deutschland damit über 76 Prozent unter dem Durchschnitt vergleichbarer Märkte.
- Noch brisanter wird es bei der Frage nach dem sogenannten Kanalisierungsgrad, also dem Anteil der Spieler, die wirklich bei regulierten Anbietern aktiv sind. Die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL) nennt für das Jahr 2023 einen Bruttospielertrag des legalen Marktes (ohne Lotterien) von 1,6 Milliarden Euro. Den Schwarzmarkt schätzt man auf rund 300 Millionen Euro. Daraus ergibt sich (ohne hier weiter ins Detail gehen zu wollen) eine Kanalisierung von 84 Prozent. Auch in den Niederlanden liegt die Kanalisierungsrate etwa in diesem Bereich.
Die Datenprofis von H2 kommen jedoch zu einer ganz anderen Einschätzung: Sie sehen den legalen Bruttogewinn zwar sogar etwas höher, nämlich bei 1,7 Milliarden Euro, beziffern den Schwarzmarkt dafür allerdings auf satte 1,1 Milliarden Euro. Das würde bedeuten, dass nur rund 61 Prozent der Glücksspielausgaben im regulierten Bereich landen – und Deutschland damit laut Josh Hudgson, Chief Operation Officer bei H2, „die geringste Kanalisierungsquote aller kommerziell regulierten europäischen Märkte“ aufweist.
Schwarzmarktanteil in Deutschland bis 2029 bei 80 Prozent?
H2 Gambling Capital wirft auch einen Blick auf die zukünftige Marktstrukturierung der beiden wichtigsten Segmente des deutschen Online-Glücksspiels: Sportwetten und virtuelle Automatenspiele. Die Aussichten sind leider alles andere als erfreulich.
- Zunächst die gute Nachricht: Nach den aktuellen Daten liegen Sportwetten mit einem legalen Marktvolumen von 393 Millionen Euro noch über dem geschätzten Schwarzmarktwert von 249 Millionen. Man geht jedoch davon aus, dass der regulierte Markt unter den aktuellen Rahmenbedingungen stagnieren wird – der illegale Bereich aber weiter wächst. Bis 2029 könnte der Schwarzmarktanteil im Bereich Online-Wetten von derzeit 38 Prozent auf rund 46 Prozent steigen, so H2.
- Was sich bei den Sportwetten andeutet, hat sich nach den Daten von H2 im virtuellen Automatenspiel längst verselbstständigt. Hier soll der Schwarzmarkt dem legalen Angebot schon heute weit voraus sein: 891 Millionen Euro stehen 545 Millionen Euro gegenüber – das entspricht einem Marktanteil von 62 Prozent für Anbieter ohne deutsche Lizenz. Und die Entwicklung verläuft, wenn man H2 glauben darf, ziemlich steil nach oben. Wenn sich die regulatorischen Rahmenbedingungen nicht grundlegend ändern, könnte der Anteil des Schwarzmarkts bis 2029 auf fast 80 Prozent ansteigen, so die Analysten.
Hinzu kommt der fiskalische Aspekt: Der vergleichsweise hohe Steuersatz für legale Anbieter lässt ihnen kaum Luft, konkurrenzfähige Angebote zu gestalten. Im Klartext: Der regulierte Markt darf nicht nur weniger, er verdient auch weniger – und das bei höherem Aufwand.
Fazit
Die Zahlen, Analysen und Warnungen verdichten sich – doch spürbare Veränderungen lassen weiterhin auf sich warten. Der Jahresrückblick der GGL für 2024 benennt zwar einige Herausforderungen, bleibt insgesamt aber überraschend optimistisch. Zu den sich häufenden kritischen Stimmen aus Fachwelt, Marktanalyse und Politik äußert sich die Behörde nur verhalten. Deutliche Anpassungen? Bislang Fehlanzeige. Für Aufmerksamkeit sorgte zuletzt vielmehr die Forderung der Behörde nach Verschärfungen im Strafrecht für Online-Glücksspiele, bei deren Umsetzung auch Nutzer illegaler Angebote stärker im Fokus stehen würden.
Eine zu harte Regulierung verfehlt nicht nur ihr Ziel, sie kann auch ins Gegenteil umschlagen. Wer den legalen Markt zu stark einschränkt, darf sich nicht wundern, wenn immer mehr Nutzer auf illegale Plattformen ausweichen. Geschichtlich ist dieses Phänomen nicht neu. Ein Paradebeispiel bildet das Alkoholverbot in den USA Anfang des 20. Jahrhunderts. Diese und ähnliche Maßnahmen führten oft nicht zur gewünschten Eindämmung, sondern zu einem florierenden Schwarzmarkt – mit all den Folgeproblemen, die sich daraus ergeben. Im deutschen Glücksspiel scheint sich tatsächlich eine ähnliche Dynamik abzuzeichnen.
Natürlich ist es richtig, dass dieser Sektor streng kontrolliert werden muss. Spielerschutz, Jugendschutz und klare Regeln sind unabdingbar. Doch Regulierung sollte nicht bedeuten, dass ein legaler Markt am Bedarf der Nutzer vorbeientwickelt wird. Vielmehr muss er so gestaltet sein, dass Menschen dort auch wirklich spielen wollen – und nicht bloß dürfen.
Rundum effektive Veränderungen brauchen Zeit, keine Frage. Aber sie brauchen auch Mut und Weitblick. Die aktuellen Prognosen von H2 Gambling Capital legen nahe, dass die Verantwortlichen diesen Faktor nicht mehr lange ignorieren können. Wenn sich die Rahmenbedingungen nicht bald spürbar ändern, dürfte es mit jedem Jahr schwieriger werden, verlorene Spieler wieder von regulierten Angeboten zu überzeugen.
Quelle des Bildes: https://pixabay.com/photos/business-businessman-chair-computer-1839191/
Zentrale Textquelle: https://gamesundbusiness.de/onlinemarkt-anomalie-made-in-germany
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