Campione d’Italia: Ein Jahr nach der Pleite von Europas größtem Casino
In Campione d’Italia war einst Europas größtes Casino. Seit letztem Jahr ist die Spielbank insolvent. Der Spielbetrieb wurde eingestellt, die Mitarbeiter entlassen und die italienische Exklave Campione d’Italia in der Südschweiz macht seitdem viele Schulden. Grund: Das Casino war die einzige Einnahmequelle der Gemeinde.
Campione d’Italia befindet sich in der Südschweiz am Luganer See. Es handelt sich um italienisches Staatsgebiet auf Schweizer Boden. Das 2.000 Seelendorf ist durch Glücksspiel berühmt und reich geworden. Durch den Verlust des Casinos ist die Existenz der Gemeinde bedroht. Der Schuldenberg liegt bei 175 Millionen Franken (rund 157 Millionen Euro) für das Casino und die Gemeinde hat noch einmal 140 Millionen Franken (rund 125,5 Millionen Euro) Schulden durch die fehlenden Einnahmen. Im Januar 2018 wurde bekannt, dass das größte Casino Europas insolvent ist.
Zwar kämpfen die meisten Einwohner immer noch um den Erhalt ihres Dorfes, aber die Zukunft ist ungewiss. Die Hoffnung der Vergangenheit wurde immer wieder zerschlagen. 482 Casino-Mitarbeiter wurden entlassen, einen Bürgermeister gibt es nicht mehr und die meisten Stadtangestellten verrichten ihren Dienst ohne Bezahlung. Nach mehr als einem Jahr verschärft sich die Lage in Campione d’Italia.
Die aktuelle Situation in Campione d’Italia
„SOS – Campione is DEAD“ kann man immer noch in großen Lettern vor dem Casino lesen. Ein weißes Plastikzelt dient den Demonstranten und ehemaligen Casino-Mitarbeitern als Stützpunkt. Dort treffen sie sich, kochen und versuchen Touristen ihre Probleme zu erklären. Teilweise haben die Angestellten 13 und 30 Jahre oder länger in dem Casino gearbeitet. Den letzten Lohn haben sie am 27. Juli 2018 erhalten. Viele der ehemaligen 482 Angestellten geben dem Management des Casinos die Schuld für ihre Misere.
Seit knapp einem Jahr ist das Casino insolvent. Die Gemeinde war alleiniger Eigentümer. Das marode Casino sorgte ebenfalls dafür, dass die Gemeinde in den Abgrund stürzte. In den stolzen Zeiten kamen alle 10 Tage rund 700.000 Franken (627.000 Euro) in die Gemeindekasse. Das Casino galt als sicherer Arbeitgeber.
Heute sind 800 Einwohner in der Gemeinde arbeitslos. Die 85 Angestellten der Gemeinde erhalten keine Löhne mehr, arbeiten aber dennoch weiter. Insgesamt 315 Millionen Schulden (282 Millionen Euro) haben Casino und Gemeinde. Der Kindergarten, das Altersheim und das Tourismusbüro mussten schließen. Die Schule ist zwar noch geöffnet, aber im Winter hatte man dort lediglich die wichtigsten Räume beheizt.
Lösungen verlaufen im Sand
Unter den Angestellten ist man sich sicher, dass sich die Gemeinde von der Spielbank langfristig lösen muss. Als alleinige Einnahmequelle ist das Geschäft zu unsicher. Dennoch braucht man das Casino kurzfristig, damit man umdenken kann. Daher wollen die Angestellten, dass der Spielbetrieb wieder aufgenommen wird, besser heute als morgen.
Das Konkursverfahren zieht sich in die Länge. Laut italienischem Recht darf die Gemeinde 5 Jahre lang nicht mehr Teilhaber der Spielbank sein. Weiterhin dürfen lediglich öffentlich-rechtliche Körperschaften das Casino übernehmen. In der Vergangenheit waren die Provinzregierung von Como oder das Innenministerium in Rom immer wieder als Investoren im Gespräch. Durch die Medien geisterten noch mehr Namen – aber alle Rettungsaktionen brauchen viel Zeit – Zeit, die in Campione d’Italia langsam knapp wird.
Mit jeder weiteren Woche ohne Lösung steigen die Schulden. Der Schweizer Kanton Tessin und die Stadt Lugano sind derzeit Geldgeber. Sie liefern Strom, Wasser, Gas und entsorgen den Abfall. Die Rechnungen kann die Gemeinde jedoch nicht bezahlen. Im September 2018 betrugen die Schulden dort bereits 5 Millionen Franken (4,5 Millionen Euro). Sie wachsen seitdem stetig an. Insgesamt zeigen sich die Nachbarn in der Schweiz noch solidarisch, aber es ist ungewiss, wie lange die Hilfe andauert. Im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten in Bern heißt es zur Situation:
Zur Begleichung der noch ausstehenden Zahlungen der Gemeinde Campione d’Italia sind die schweizerischen und italienischen Behörden in regelmäßigem Kontakt.
Wie kam es zur Pleite des größten europäischen Casinos?
1990 wurde das größte Spielcasino Europas in der heutigen Form geplant. Der Tessiner Architekt Mario Botta hatte ein 10 Stockwerke großes und 190 Millionen Franken teures Casino gebaut. Es sollte die größte Spielbank überhaupt werden, denn je mehr Kunden, desto mehr Umsatz.
Damals konnte man nicht ahnen, dass irgendwann Online Casinos den Spielbanken den Rang ablaufen. Dass italienische Gesetze Geldspielgeräte in Kneipen erlauben würden, sodass der Glücksspieltourismus teilweise ausbleibt, war ebenfalls nicht absehbar. Mit der Entstehung von Spielbanken in der Schweiz und Casinos in direkter Umgebung in den Städten Mendrisio, Lugano und Locarno konnte man ebenfalls nicht rechnen. Dass der Franken-Euro-Kurs von 1,60 Franken auf 1,10 Franken fallen würde, hatte man nicht einkalkuliert. Zuletzt wurde die Gemeinde recht verschwenderisch durch die vielen guten Jahre. Die Summe an Gründen hat schlussendlich zur Pleite des Casinos und der Gemeinde geführt.
Die Lage der Bewohner wird prekärer
Einige Mitarbeiter hatten 30 Jahre oder länger als Techniker, Croupier, Kellner oder Servicepersonal im Casino gearbeitet. Sie sagen, dass die Verzweiflung größer werde. Den Glauben an Medien, Politik und Justiz habe man inzwischen verloren.
Einige ehemalige Angestellte leben in der Schweiz. Ihnen geht es noch recht gut. Sie erhalten vom Schweizer Sozialsystem Arbeitslosengeld. Wobei auch das nur zeitweise begrenzt ausgezahlt wird, die Existenzängste werden teilweise nur um 6 Monate vertagt. Am schlimmsten sind wohl die Rentner betroffen. Sie erhielten eine Grundrente von 800 Euro vom italienischen Staat und 1.400 Euro Pensionsgeld von der Gemeinde, welches nun wegfällt. Räumungsbefehle von zahlungsunfähigen Mietern gehören mittlerweile zum Alltag.
Der Gewerkschafter Paolo Bortoluzzi hat fast 20 Jahre im Casino gearbeitet. Er beschreibt die Lage der Gemeinde mit Schweizer Preisniveau wie folgt:
Es ist eine Frage der Mathematik: Zurzeit brauchen wir unser Erspartes auf. Bald wird die Kreditrate für die Wohnung fällig. Kommt die Bank uns nicht ein weiteres Mal entgegen, wird die Wohnung zwangsversteigert.
Im Dorfkern werden Nahrungsmittel verteilt. Pfarreien und die Schweizer Nahrungsmittel-Spendenaktion "Tischlein deck dich" sind sehr aktiv und versuchen den Menschen zu helfen. Die Spenden kommen meist von den Schweizer Nachbarn: Ein Bäcker spendet Brot, ein Öllieferant liefert kostenlos Heizöl.
Wie sieht die Zukunft für Campione d’Italia aus?
Ab 1. Januar 2020 soll Campione d’Italia zum europäischen Zollgebiet gehören. Das hat der Rat der Europäischen Union auf Antrag von Italien entschieden. Es wird eine italienisch-schweizerische Zollstation errichtet werden. Die Einwohner fragen sich derzeit, wer in Zukunft die Telefonverbindung bereitstellt, wer die Post ausliefert, ob die Notfallversorgung immer noch durch die Schweiz gewährleistet und wie der Müll entsorgt wird.
Gegen die Entscheidung Italiens hatte man eine Petition gestartet. 1.600 Einwohner hatten unterschrieben. Bisher gibt es keine Lösungen oder Stellungnahmen aus Rom.
Vincenzo Falanga arbeitet als Generalsekretär der Gewerkschaft UIL in Como. Er versucht den Gemeindeangestellten von Campione d’Italia seit einem Jahr ihren Lohn zu erkämpfen. Viele Sitzungen wurden abgehalten und Verstöße ans Innenministerium in Rom gesendet. Bisher gibt es keine Antworten. Pläne für die Zukunft der italienischen Exklave fehlen, so zumindest die Auffassung von Falanga:
Es gibt keinen Krisengipfel, keinen runden Tisch, kein Arbeitsprogramm. Das ist es, was so demotivierend, so unendlich enttäuschend ist.
Lösungen für Campione d’Italia sieht er nicht vor 2021. Für die meisten Einwohner ist dies zu spät. Sie werden den Ort vorher verlassen müssen. Er hofft zwar auf eine frühere Lösung und ein neues Konzept für den Ort, als wahrscheinlich gilt diese Hoffnung jedoch nicht. Dafür sind die Probleme in Italien wahrscheinlich zu groß.
Bildquelle: Foto von AdmComSRL [CC BY-SA 3.0]
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